Mathias von Gersdorff
Leere Wiegen in Deutschland |
Eine repräsentative
Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes INSA-Consulere im Auftrag der
Zeitschrift Idea Spektrum hat äußerst interessante Daten über die Einstellung
der Deutschen zum Recht auf Leben hervorgebracht. Idea berichtet über diese
Studie in der Ausgabe Nr. 37 vom 17. September 2016. Es lohnt sich, diese Daten
genauer zu analysieren und zu kommentieren. Vor allem sollen Überlegungen
angestellt werden, was diese Zahlen für den aktiven Einsatz der Lebensrechtler
in der Öffentlichkeit bedeuten könnten.
Idea berichtet, dass 41
Prozent der Deutschen (46 Prozent Frauen, 35 Prozent Männer) der Auffassung
sind, bei einer Abtreibung würde ein ungeborener Mensch getötet werden.
Diese Zahl ist
erschreckend niedrig, schließlich bewertet selbst das sehr liberale deutsche
Strafrecht Abtreibungen als rechtswidrige (aber straffreie) Handlungen.
Außerdem wird Abtreibung noch generell von den christlichen Konfessionen als
„schlecht“ oder „sündhaft“ eingestuft, wenngleich mit unterschiedlicher
Graduierung. Insofern scheint in Deutschland das moralische und rechtliche
Empfinden in dieser Frage mächtig abgestumpft zu sein.
Aus der Perspektive des
Aktivismus ist diese Zahl aber immer noch recht hoch. Diese 41 Prozent stellen
nämlich so etwas wie die soziologische Größe der potentiellen Lebensrechtler
dar bzw. den Resonanzkasten für die Öffentlichkeitsarbeit der
Pro-Life-Organisationen. Es ist nämlich davon auszugehen, dass Personen, die
der Auffassung sind, durch Abtreibung würden Menschen getötet, auch potentiell
gegen Abtreibung in irgendeiner Form aktiv werden könnten, obgleich die
Intensität der Ablehnung natürlich sehr unterschiedlich sein kann.
41 Prozent sind ein hoher
Anteil der Bevölkerung. Wenige Themen haben sonst einen so hohen Rückhalt,
polarisierende Streitfragen schon gar nicht.
Angesichts dieser Tatsache
muss aber leider festgestellt werden, dass die Lebensrechtsorganisationen nur
in der Lage sind, einen geringen Anteil dieses Potentials zu mobilisieren. Generell
sind die Lebensrechtler unterfinanziert, haben keine beeindruckenden
Mitgliederzahlen und animieren im internationalen Vergleich wenige Menschen zu
Straßen- oder sonstigen Demonstrationen, wie etwa Postkartenaktionen.
Ein leichter Trost für
diese Schwäche ist die Tatsache, dass die Abtreibungsaktivisten noch viel
größere Mobilisierungsschwierigkeiten haben, was an anderer Stelle in
diesem Blog schon kommentiert wurde.
Besonders interessant sind
die Zahlen über die Ansichten zum Thema Abtreibung entsprechend der Konfession.
So wird Abtreibung
kritisch von 45 Prozent der landeskirchlichen Protestanten, von 50 Prozent der
Katholiken und von 77 Prozent der evangelisch-freikirchlichen Christen
angesehen.
Die Zahl der
landeskirchlichen Protestanten und gewissermaßen auch der Katholiken ist
eigentlich beschämend, denn sie unterscheidet sich nicht gravierend vom
nationalen Durchschnitt, also von anfangs genannten 41 Prozent.
Offensichtlich wird das
Thema in den Volkskirchen zu wenig behandelt oder sogar totgeschwiegen, vor
allem bei den Protestanten. Bei den Katholiken geht wohl die etwas bessere Zahl
auf die ständigen Interventionen der Päpste zugunsten des Lebensrechts zurück.
Leider hält sich die Mehrheit der katholischen deutschen Bischöfe bei diesem
Thema stark zurück. Dass etliche Bischöfe dieses Jahr Grußworte an den „Marsch
für das Leben“ richteten, ist neu. Außerdem waren sie teilweise sehr
vorsichtig. Kardinal Marx hat das Wort „Abtreibung“ gar nicht erwähnt.
Erzbischof Koch vermischt das Thema Abtreibung mit anderen aktuellen
gesellschaftlichen Problemen, wie etwa der Flüchtlingskrise.
Die Zahl der kritischen
Freikirchler ist erfreulich und sicherlich Folge der Tatsache, dass dort das
Thema laufend behandelt wird und auch zum missionarischen Verständnis gehört.
Allerdings muss auch berücksichtig werden, dass es nur 291.000 Freikirchler in
Deutschland gibt. Im Jahr 2015 gab es hierzulande 22,7 Mio. Katholiken und 22,2
Mio. landeskirchliche Protestanten.
Jedenfalls zeigt sich
einmal wieder: Über Abtreibung sprechen rettet Leben, während Schweigen es
tötet.
Das Gesamtbild
verschlechtert sich bei der Frage nach der persönlichen Einstellung: „Eine
Abtreibung/dass meine Partnerin abtreibt, kommt für mich nicht in Frage“.
36 Prozent der Bevölkerung
lehnen Abtreibung auch für sich persönlich ab. 34 Prozent Männer und 37 Prozent
Frauen.
Auch diese Zahl ist nicht
berauschend, zeigt aber immer noch, dass das soziologische Potential für die
Lebensrechtsorganisationen recht groß ist und völlig unausgeschöpft ist.
Trist ist die Beantwortung
auf diese Frage entsprechend der Konfession. Nur 40 Prozent der
landeskirchlichen Protestanten, 42 Prozent der Katholiken und 64 Prozent der
freikirchlichen Christen würden nicht abtreiben. Auch hier ist die Zahl
der landeskirchlichen Protestanten und der Katholiken nicht wesentlich besser
als die der Gesamtbevölkerung, was den geringen Einfluss ihrer Kirchen auf die
eigene Klientel in dieser Frage dokumentiert.
Dass diese Zahl geringer
als die „theoretische“ Einstellung ist, ist bedauerlich, jedoch verständlich.
Jemand kann etwas schlecht finden, dennoch bereit sein, es in gewissen
Situationen zu tun.
Fazit: Die Einstellung der
Deutschen zum Recht auf Leben ist in besorgniserregendem Maße schlecht. Die
Tatsache, dass 59 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, eine Abtreibung
würde keinen Menschen töten, zeigt, wie schwach die Wertschätzung für ein
essentielles Grundrecht in der Bevölkerung ist. Doch die Zahl der
Abtreibungskritiker ist immer noch groß genug für die Existenz einer starken
Lebensrechtsbewegung, sollte diese in der Lage sein, diese Menschen
mobilisieren zu können. Jedenfalls scheint allein die Präsenz des Themas in der
Öffentlichkeit eine Änderung in der Einstellung der Einzelnen zu bewirken.