Botschaft der Italienischen Bischofskonferenz für den 37. Nationalen Tag des Lebens am 1.
Februar 2015
„Kinder und Senioren bilden die Zukunft der Völker:
Kinder, weil sie die Geschichte voranbringen, Senioren, weil sie Träger von
Lebenserfahrung und -weisheit sind.“
Diese Worte von Papst Franziskus (1) spornen zu einer
erneuerten Anerkennung des menschlichen Individuums und zu einer besseren Obhut
von dessen Leben an, von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende. Sie
stellen eine Einladung dar, Diener dessen zu werden, „was in der Schwäche
gepflanzt wurde“ (1 Cor. 15,43), also der Kinder und der Senioren, sowie
darüber hinaus eines jeden Mannes und einer jeden Frau, für welche das
grundlegende Recht auf das Leben anerkannt und garantiert werden muss.(2)
Wenn eine Familie ein neues Lebewesen in ihren Kreis
aufnimmt, erfährt sie „die revolutionäre Kraft der Zärtlichkeit“ im Fleische
ihres Kindes (3), worauf in ihrem Hause ein neues Licht erstrahlt, welches
nicht nur ihr selbst, sondern der gesamten Gesellschaft zugute kommt.
Der besorgniserregende demographische Niedergang unserer
Zeit verweist darauf, dass wir am Mangel dieses Lichtes leiden — der
Geburtenmangel wird nämlich katastrophale Folgen für die Zukunft mit sich
bringen: die Kinder, welche heutzutage geboren werden — es sind immer weniger
an der Zahl werden so etwas wie die
Spitze einer umgedrehten Sozialpyramide darstellen, weil sie die erdrückende
Last der vorhergehenden Generationen zu tragen haben werden. Aus diesem Grunde
drängen sich einem folgende Fragen auf: welche Welt werden wir unseren Kindern
hinterlassen? Aber auch: welchen Kindern hinterlassen wir unsere Welt?
Das traurige Phänomen der Abtreibung stellt einen der
Gründe für diese Situation dar: dadurch werden jedes Jahr mehr als 100.000
menschliche Wesen daran gehindert (4), das Licht der Welt zu erblicken und somit
einen wertvollen Beitrag zur italienischen Gesellschaft zu leisten.
Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass die Praxis
der künstlichen Befruchtung — die das Recht auf ein Kind um jeden Preis
verfolgt — in ihrer Vorgehensweise einen beträchtlichen Verlust an befruchteten
Eizellen zur Folge hat, also an Menschen, die niemals geboren werden.
Der Wunsch, ein Kind zu bekommen, ist edel und großartig:
er ist wie Hefe, die unsere Gesellschaft aufgehen lässt, eine Gesellschaft, die
von einer „Kultur des betäubenden Wohlstandes“ (5) und einer scheinbar
nie endend wollenden Wirtschaftskrise geprägt ist. Unsere Nation darf sich ihre
Fruchtbarkeit nicht nehmen lassen.
Es stellt eine notwendige Investition in die Zukunft dar,
diesen Wunsch zu erfüllen, der in vielen Frauen und Männern vorhanden ist.
Damit er nicht zu einer Forderung entartet, muss man sein Herz aber auch für
die vielen bereits geborenen Kinder öffnen, die verlassen und verwahrlost
dastehen. Man sollte die Praxis der Adoption und der Pflege erleichtern, die
heutzutage aufgrund hoher Kosten, bürokratischer Auflagen und manchmal auch
bitterer Einsamkeit noch viel zu problematisch ist. Oft handelt es sich um
Paare, die aufgrund von biologischer Sterilität dazu bereit sind, „eine Familie
für jemand zu werden der keine Familie hat“ und dabei die Erfahrung machen,
„wie eng die Türe und wie schmal der Weg ist, der zum Leben führt“ (Mt 7,14).
Die Solidarität gegenüber dem Leben kann sich außer durch
diesen Weg auch durch die lobenswerten Aktivitäten vieler Vereinigungen
ausdrücken, auch auf neuartige Art und Weise, etwa in Form einer Familie, die
eine andere Familie adoptiert. Es können Formen menschlicher Nähe entstehen,
wie wenn beispielsweise eine schwangere Frau eine Familie oder eine Gruppe von
Familien findet, die sich ihrer und ihres Kindes annehmen, wodurch eine
Abtreibung vermieden werden kann, an die sie sonst vielleicht — auch gegen
ihren eigentlichen Willen — denken würde.
Eine Entscheidung der Solidarität gegenüber dem Leben,
welche — auch angesichts der neuen Migrationsflüsse — eine wirkungsvolle
Antwort auf jenen Ausruf darstellt, der seit Anbeginn der Menschheit zu hören
ist: „wo ist dein Bruder?“ (vgl. Gen 4,9).
Dieser Ausruf wird zu oft erstickt, weil wir — so Papst
Franziskus — in unserer globalisierten Welt einer „globalisierten
Gleichgültigkeit“ anheimgefallen sind: „wir haben uns an das Leiden des Anderen
gewöhnt, es geht uns nichts an, es interessiert uns nicht, es ist nicht unsere
Angelegenheit“.(6)
Die Kreativität der Liebe kann uns dabei helfen, dieser
Sackgasse zu entkommen und einen neuen Humanismus einzuläuten: „Indem er
seine Menschlichkeit bis auf ihren Grund lebt (...) verbessert sich der Christ
und befruchtet die Saat.“(7)
Der Aufbau eines solchen neuen Humanismus stellt eine
wahre Herausforderung dar; sie beginnt mit einem Bekenntnis zum Leben.
(1) Papst Franziskus, 28. Weltjugendtag.
(2) Papst Franziskus, an die katholischen Ärzte 20.9.2013
(3) Papst Franziskus, Evangelii gaudium, 288.
(4) Bericht des Ministers für Gesundheit (Italien)
13.9.2013
(5) Papst Franziskus, Evangelii gaudium, 54.
(6) Papst Franziskus, Besuch in Lampedusa. 8.7.2013
(7) Papst Franziskus, Evangelii gaudium, 75.
(aus LEBE Januar/März 2015, Meran)