Dienstag, 18. November 2014

KIND NACH VERGEWALTIGUNG

"Gut, dass du mich bekommen hast, Mama!"

Von HENDRIK PUSCH

KÖLN – Sie liebt ihren Sohn über alles. Monika L. (37) geht mit Marlon (11; Namen geändert) in den Zoo und auf den Spielplatz. Sie hilft bei den Schularbeiten. Alles, was Mutter und Kind so machen. Doch Marlons Vater ist ein Verbrecher, ein Vergewaltiger, der nie geschnappt wurde.

Monika L. mit dem Foto ihres neugeborenen Sohnes. 
Nachdem sie vergewaltigt wurde, 
brachte sie das Kind zur Welt. 
„Ich habe nie an eine Abtreibung gedacht“, sagt sie.
Foto: Udo Gottschalk
Schwanger von einem Vergewaltiger. Ein gesellschaftliches Tabuthema. Doch Monika L. will nicht länger schweigen. „Ich möchte Frauen, die das Gleiche wie ich erlebt haben, Mut machen, zu ihrem Kind zu stehen“, sagt sie.
Rückblende, Oktober 2002: Monika L. wollte abends eine Galerie in Köln besuchen, draußen war es schon dunkel. Vorher wollte sie noch schnell auf die öffentliche Toilette. Und dort geschah es.
Ein Sex-Täter überfiel Monika L., vergewaltigte sie und verschwand. Unter Schock lief die junge Frau nach Hause. Zur Polizei ging sie nicht.
„Ich wollte das alles nur vergessen, habe alles verdrängt.“ Bis heute kann sie sich nur in Bruchstücken an den brutalen Überfall erinnern.
Ein paar Wochen nach dem Verbrechen spürte sie Schmerzen im Unterleib, ging zum Frauenarzt. Ein paar Tests, dann war klar: Monika war schwanger. Sie war zu dieser Zeit Single, der Vater konnte nur der Vergewaltiger sein. Erst jetzt erstattete sie Anzeige. Doch die Ermittler haben den Täter nie gefunden.
Was blieb, war ein Bauch, der immer größer wurde. Eine emotionale Ausnahmesituation. Sollte sie das Kind behalten, das Kind von einem Sex-Täter? „Ich habe nie wirklich an eine Abtreibung gedacht“, sagt Monika L. heute. Auch mehrere Menschen aus ihrem Umfeld hätten sie unterstützt, das Kind zu bekommen. Immer habe sie sich gesagt: „Das Baby kann doch nichts dafür.“
Gleichwohl ging es ihr in der Schwangerschaft sehr schlecht. „Ich war depressiv, konnte mich gar nicht auf das Kind freuen“, erzählt sie dem EXPRESS.
Ihr Sohn kam per Kaiserschnitt zur Welt, vier Wochen zu früh. „Als ich ihn sah, war ich hin und weg, der Kleine war so süß“, sagt sie.
Doch die Erinnerung an die Vergewaltigung kommt immer wieder hoch. „Ich habe Trauma-Therapien gemacht, bin immer noch in psychologischer Behandlung.“ Wenn Monika L. an dunklen Unterführungen vorbeikommt, bekommt sie Panik, Herzrasen. Doch sie will stark sein. Für sich und für ihren Sohn.
Marlon, heute elf, hat erst im vergangenen Jahr die ganze Geschichte erfahren, eine Therapeutin war dabei. Er weinte, sagte dann aber zu seiner Mutter Monika: „Gut, dass du mich bekommen hast, Mama.“

Wer bezahlt den Unterhalt?

2013 wurden 7408 Vergewaltigungen in Deutschland angezeigt. Davon 1850 in NRW. In Köln wurden 198 Fälle gezählt, in Düsseldorf 108 und in Bonn 66.
Doch was, wenn eine Frau schwanger von einem Vergewaltiger wird? Laut § 218a ist dann eine Abtreibung bis zum dritten Monat erlaubt. Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele Frauen das betrifft.
Klar ist: Mütter von Kindern eines Vergewaltigers, der nicht gefasst wurde, können Unterhaltsvorschuss beim Jugendamt beantragen. „Der gilt allerdings nur für sechs Jahre“, sagt Familienrechtlerin Sabine Willutzki. Wenn das Kind das zwölfte Lebensjahr erreicht hat, besteht kein Anspruch mehr.
Danach hat die Mutter die Möglichkeit, beim zuständigen Landschaftsverband Opferentschädigung zu beantragen.
Wurde der Vergewaltiger ermittelt, muss er den Unterhalt für das Kind zahlen.

„Man muss das Kind und die Tat trennen“

Schwanger nach einer Vergewaltigung: Das ungeborene Kind werde zu einem ständigen Auslöser für die traumatische Erfahrung, sagt Psychiater Karl Heinz Brisch. „Dazu gehören neben Affekten von Hilflosigkeit, Ohnmacht, Ausgeliefertsein, Scham und pathologischen Schuldgefühlen auch mörderische Wut.“

Trotzdem entscheiden sich nicht wenige vergewaltigte Frauen für das Kind. Diplom-Psychologin Susanne Heynen: „Die Schwangerschaft löst einen Perspektivwechsel aus. In den Vordergrund rückt die Verantwortung, die die Frau durch die Schwangerschaft gegenüber dem Kind annimmt.“
So sieht es auch Familientherapeutin Elke Eyckmanns:„Die Schwierigkeit besteht darin, das Augenmerk komplett auf das Kind zu legen. Im Entscheidungsprozess, ob man abtreibt oder nicht, befinden sich betroffene Frauen meist in einer Phase, in der die Tat noch allgegenwärtig ist. Hier muss der Frau bewusstwerden, dass sie sich für das Kind entscheidet, unabhängig von der Tat und dem Täter.“
Auch für das Kind ist es keine einfache Situation, wenn es erfährt, dass es durch eine Vergewaltigung entstanden ist.
Elke Eyckmanns: „Das Kind muss auch beim Heranwachsen immer wieder damit umgehen, dass ein Teil von ihm nicht gewollt ist. Bei einer liebenden Mutter, die ihre Wut und negativen Gefühle gegenüber dem Vergewaltiger nicht auf ihr Kind projiziert, kann das Akzeptieren der Situation gelingen. Davor muss man großen Respekt haben.“


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