Freitag, 20. Oktober 2017

Töten als Staatsaufgabe

  
von Bernward Büchner

Vor vielen Jahren schrieb der Staatsrechtler Josef Isensee, die Abtreibung als Leistung der Sozialversicherung bedeute: „Der Staat tötet“. Daran hat sich inzwischen nichts geändert. Das flächendeckende Angebot von Einrichtungen zur Vornahme von Abtreibungen ist eine „Staatsaufgabe“ und der tötende Eingriff eine Kassenleistung, die teils von den Beitragszahlern und teils aus der Staatskasse finanziert wird. Nach dem Abtreibungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993 jedoch darf unser Rechtsstaat sich an der Tötung ungeborener Kinder nicht beteiligen, von deren Rechtmäßigkeit er nicht überzeugt sein kann wie bei der nach dem „Beratungskonzept“ erfolgenden. Das betrifft etwa 98 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche, also nahezu alle. Der Sozialstaat, so die Karlsruher Richter, könne nur mit den Mitteln des Rechtsstaats verwirklicht werden. Mit der staatlichen Schutzpflicht für das ungeborene menschliche Leben sei die Gewährung von Leistungen für solche Schwangerschaftsabbrüche nicht vereinbar. Denn dadurch würde „das allgemeine Bewusstsein in der Bevölkerung, dass das Ungeborene auch gegenüber der Mutter ein Recht auf Leben hat und daher der Abbruch der Schwangerschaft grundsätzlich Unrecht ist, erheblich beschädigt“.
Dieser Beschädigung, ja Zerstörung des Rechtsbewusstseins haben die Verfassungsrichter, alle hehren Grundsätze über Bord werfend, jedoch selbst Tür und Tor geöffnet. Eine Inanspruchnahme der Sozialversicherung haben sie nur insoweit ausgeschlossen, als es um „den Abbruch selber“ geht. Dessen Kosten dürften bei Bedürftigkeit der Frau freilich vom Staat übernommen werden. Dieses Schlupfloch nutzend legt das Gesetz zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen „in besonderen Fällen“ die Grenze der Bedürftigkeit derart fest, dass seine Praxis zu einer Kostenerstattung aus den Haushalten der Länder für über 90 Prozent der „beratenen“ Kindestötungen in einer Höhe von jährlich mehr als 40 Millionen Euro führt. Gerechtfertigt soll diese skandalöse Praxis deshalb sein, weil die Inanspruchnahme eines Arztes nicht am Fehlen der hierfür erforderlichen finanziellen Mittel scheitern dürfe und die Frau sonst den Weg in die Illegalität suchen und gesundheitlichen Schaden erleiden könne. Doch welche Frau wird heute noch wegen der Kosten von rund 300 Euro den Weg zum Arzt scheuen? Zu den legitimen Mitteln eines Rechtsstaats gehört jedenfalls nicht die rechtswidrige Tötung ungeborener Kinder durch Ärzte im Gesundheitsinteresse der Mutter.
Nach der jüngsten Geburtenstatistik des EU-Statistikamtes Eurostat nahm Deutschland im Jahr 2009 unter allen EU-Mitgliedsstaaten erneut mit Abstand den letzten Platz ein. Die unbestreitbaren Folgen dieser Entwicklung sind verheerend. Höchste Zeit aufzuwachen und den verhängnisvollen Weg der Tötung ungeborener Kinder durch den Staat endlich zu verlassen.

Der Verfasser ist Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht a.D. und Vorsitzender der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V. (Köln).

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